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Krimikritik: Der Fall Galton, von Ross MacDonald (1959, engl. The Galton Case) – 7 Sterne
Fazit: Die Handlung schnurrt gut konstruiert und gut geölt herunter, und Ross MacDonald erzählt ebenso elegant und gut geölt – zu gut: Dialoge klingen geschriftstellert, hübsche Zufälle helfen weiter. Amazon-Werbelinks: Buch Der Fall Galton | Ross MacDonald allg. auf Deutsch | Krimis insgesamt Kultiviert: Der Krimi beginnt genre-typisch: Privatdetektiv Archer betritt eine Anwaltskanzlei, ein Fall-Hintergrund wird erzählt. Das funktioniert alles dialogisch. Bald gibt’s die erste Leiche. Die hat scheint’s nicht mit dem diskutierten Geschehen zu tun und lässt unerwünschte Zufälle befürchten. Ross MacDonald (1915 – 1983) schreibt kultiviert über kultivierte oder zumindest gutbürgerliche Menschen. Alles ist gepflegt, ziseliert, geldig, nonchalant. Der Autor betont die Besonderheiten seiner Figuren fast zu stark,…
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Kritik Psychologie-Liebe-Geschichten: Die Liebe und ihr Henker, von Irvin D. Yalom (1989, engl. Love’s Executioner) – 8 Sterne
Die fiktionalisierten Fallgeschichten sind mal 15, mal 50 Seiten lang (ich kenne nur das engl. Original, nicht die Eindeutschung von Hans J. Heckler). Ein Highlight ist wohl die Geschichte der „Fat Lady“ Betty: Yalom beschreibt ihre Diäterfolge mitreißend wie einen Sportwettkampf und zieht Parallelen zu ihrer Jugend, als sie zuletzt ähnlich wenig wog, und er ändert dabei zugleich seine Haltung zur Patientin. Hier gibt es – ungewöhnlich – eine kleine Querverbindung zu einer anderen Geschichte im Buch. Psychiatrie-Professor Irvin D. Yalom hält in der Psychotherapie diese Grundgegebenheiten für wichtig: wir und unsere Liebsten müssen sterben; wir gestalten unser Leben selbst; wir sind letztlich allein; das Leben hat keinen klar erkennbaren…
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Romankritik: Der Postbote klingelt immer zweimal, von James M. Cain (1934, engl. The Post Man Always Rings Twice) – 5 Sterne – mit Video
Die Dialoge sind kalt, knapp und cool. Die Sätze kurz. Die Kulisse wirkt staubig und reell, eine einsame Tankstelle in kalifornischer Pampa in den 1930ern. Doch dann kommen die Schwächen. Der Krimi protzt mit Stil, nicht mit Substanz, er ist unrealistisch und wirr. Erst türmt Autor James M. Cain Zufall auf Zufall: Beim Mordversuch fährt rein zufällig ein Polizist die Straße lang, plaudert mit der Schmiere stehenden Hauptfigur, eine kletternde Katze lenkt Aufmerksamkeit auf die Fluchtleiter, und dann fällt noch spielentscheidend der Strom aus. Amazon-Werbelinks: Buch Der Postbote klingelt immer zweimal | Film Wenn der Postmann zweimal kingelt | Krimis insgesamt Im Mittelteil liefert der Krimi undurchschaubare juristische und versicherungstechnische…
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Besprechung: Schadenfreude, A Love Story, von Rebecca Schuman (2017) – 4 Sterne
Dies ist der Lebensweg einer US-Germanistin, kein Buch über Amis und Deutsche in Deutschland. Die US-Amerikanerin Rebecca Schuman hat eine (S. 212*) all-consuming love for the German canon… A reverence that hovered somewhere between religious and sexual ecstasy Zuerst verfällt sie Kafka („the German language’s most famous writer“), später auch Thomas Mann, Wittgenstein und anderen Philosophen. Doch bei ihren längeren Besuchen in Deutschland trifft Schuman nur wenige, und bizarre, Deutsche, u.a. Ordnungsfanatiker („the Herrmann family shit-show“) und sehr grottige Berliner. Auf dieser Datenbasis referiert sie über die „Germans“ mit kühnen Verallgemeinerungen. Jahrelang am Stück gelebt hat sie nie im Deutschsprachigen. Schuman überblickt rund 20 Jahre Deutsch(land)-Faszination, doch sie berichtet gutteils…
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Romankritik: Kings of Cool, von Don Winslow (2012, Teil 1 der Reihe) – 6 Sterne
Don Winslow schreibt einen ultra-coolen Mackerton, in dem Zeilen und sogar Kapitel oft nach zwei, drei Wörtern enden. Er erzählt von Drogenhändlern, Fahndern und Hippies in Südkalifornien, mit vielen kurzen, vulgären Gewaltausbrüchen (oft Kopfschüsse) und interessanten Einblicken in den regionalen Wohnungs-, Dating- und BTM-Markt. Winslow springt zwischen verschiedenen Personengruppen und Zeitebenen, nicht immer hatte ich ganz den Überblick, vermisste ein Personenregister oder besser noch Organigramm. Zur Konfusion trägt bei, dass Winslow einige Figuren je nach Kontext mit unterschiedlichen Namen benennt und auch ein paar mir unbekannte Fachausdrücke, Slangvokabeln und Abkürzungen einstreut – klingt natürlich lässig (ich kenne nur das englische Original vollständig, fand aber auch in der deutschen Version Wörter…
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Romankritik: Zeit des Zorns, von Don Winslow (2010, engl. Savages, Teil 2 der Reihe) – 5 Sterne – mit Video
Don Winslow erzählt ein dünnes Geschichtchen, mächtig aufgeblasen, kraftmeiernd krass. Der Stil ist betont ultracool, mit krass kurzen Kapiteln und Sätzen und krassen Sätzen über Drogen, Morde und Pornografie, die wir logo krass trocken wegstecken. Und auf den ersten 100 von 300 Seiten kommt kaum etwas in Gang: es gibt lauter Rückblenden auf die Vorgeschichte der Hauptfiguren, des Drogenhandels, sogar auf Republikaner versus Demokraten. Natürlich walzt Winslow schon hier die Gewalt aus, aber in unzusammenhängenden Rückblicken. Erst etwa auf Seite 100 (in meiner englischen Ausgabe) wird eine Hauptperson entführt, mit sehr dramatischen Forderungen für die Freilassung. Die Geschichte beginnt, jedoch erneut mit seltsamen Abschweifungen (die Entführte imaginiert seitenlang TV-Historienschinken). Warum…
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Romankritik: Kalifornische Jahre, von Paula Fox (1970, engl. The Western Coast) – 7 Sterne
᛫ ᛫ ᛫ Paula Fox schreibt sensibel intelligent, zurückgenommen, nie auftrumpfend, fein beobachtend mit spärlichem, dabei punktgenauem Dialog. Doch hat der Roman wenig Handlung und ausschließlich uninteressante bis unsympathische Figuren – Kontaktarme, Selbstsüchtige, Bizarre, Besessene, Haltlose, Entwurzelte in Südkalifornien Ende der 1930er Jahre. Für dieses Personal fallen mir fast eher englische Vokabeln ein, loser, loner, lunatic, drifter, drunkard; hinzu kommen zu viele missionarische Betonjungkommunisten. „My family’s going down the drain“, meint eine Protagonistin treffend; das gilt für alle hier (ich kenne nur das englische Original und kann die Eindeutschung nicht beurteilen). Lauter Außerseiter taumeln durch die Kulisse, die wenigen Familien und Kinder sind eigentlichen Außenseiter in einer Gesellschaft der Beknackten.…
- Buch, Frankreich, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Italien, Lustig, Mediterran, Reise, Reisebuch, Sachbuch, USA
Kritik Reise-Wein-Buch: The Accidental Connoisseur, von Lawrence Osborne (2004) – 7 Sterne
In Italien, USA und Frankreich tafelt, bechert und palavert Lawrence Osborne mit Star-Winzern, aber auch mit weniger bekannten Bauern und Landwirten, die nebenher eigene Tropfen keltern, sowie mit ein paar Beratern und Importeuren. Gastronomen oder Endverbraucher kommen kaum zu Wort (Osborne sieht sich selbst als weniger erfahrener Endverbraucher). Portugal, Deutschland, Österreich, Südafrika, Chile, Argentinien, Neuseeland oder Australien figurieren nicht (auch nicht Spanien mit dem nach dem Autor benannten Osborne-Sherry, immerhin auch eine Art Wein). Nebenher vermittelt der Autor plaudernd Grundkenntnisse über Anbaumethoden oder Geschmacksrichtungen, vor allem über die Unterschiede zwischen europäischen, amerikanischen und australischen Weinen und Geschmäckern und wie man „Terroir“ festmachen kann. Ausführlich redet Osborne zudem über das sich…
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Romankritik: Die Liebe des letzten Tycoon, von F. Scott Fitzgerald (1940, engl. The Love of the Last Tycoon) – 7 Sterne – mit Video
F. Scott Fitzgerald portraitiert den fiktiven Hollywood-Mogul Monroe Stahr etwa 1935, den er teils nach dem Hollywood-Mann Irving Thalberg formt (Thalbergs Witwe sah keine Ähnlichkeit). Die Geschichte wurde 1976 mit Robert de Niro und Jack Nicholson verfilmt. Fitzgerald selbst hat jahrelang in Hollywood gearbeitet, konnte den Roman aber zu Lebzeiten nur halb schreiben. Das vorliegende Fragment endet jedoch an einer passenden Stelle, ohne dass große Fragen offenbleiben. Die geplante weitere Handlung ist gut bekannt und wird in meiner englischen Bruccoli-Ausgabe als langes Zitat aus Fitzgeralds Korrespondenz wiedergegeben. Auf Amazon: F. Scott Fitzgerald Fazit: Fitzgerald erzählt mit bestechendem Ton, liefert starke Dialoge, Einzeiler, atmosphärische Beschreibungen, pfiffige Einblicke in kreative Aufgaben einer…
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Rezension Kurzgeschichten: The Pat Hobby Stories, von F. Scott Fitzgerald (1940) – 8 Sterne – mit Rezensionsbericht
Die 17 knappen Kurzgeschichten handeln vom kleinen Manuskriptschreiber Pat Hobby im Hollywood der späten 1930er Jahre. F. Scott Fitzgerald verarbeitet hier sein eigene Zeit in den Hollywoodstudios, wo er selbst trotz früherer Roman-Erfolge (Der große Gatsby) kein Superstar war, und erzählt eine Demütigung nach der anderen: Der Lohn war einst viel besser; früher durfte er mit den großen Tieren an einem Tisch lunchen; bei den Frauen läuft null; keiner glaubt an ihn, hört mal zu; selbst aufs Gelände kommt Pat Hobby nicht mehr ohne Stress. F. Scott Fitzgerald skizziert knapp und lakonisch Skizzen mit Humor, Eleganz und überraschenden Wendungen; Pat Hobby stiehlt, betrügt, macht sich lächerlich, verliert jedoch nie ganz…
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Rezension Spielfilm: Short Cuts (Regie Robert Altman, USA 1994; mit Trailer) – 8 Sterne
Viele verschiedene Geschichten und Akteure, exzellent immer wieder ineinander geflochten. Bevor nur ein bisschen Leerlauf entstehen könnte, geht es weiter zur nächsten Beziehung – kurze Schnitte eben, short cuts. Man kann die drei Stunden durchaus am Stück sehen, wenn man nicht zu spät damit beginnt. Ein paar Elemente ab Filmmitte finde ich zu billig drastisch, aber ich bin auch sehr zartfühlend. Zunächst verbinden die Hubschrauber der Pestbekämpfung die verschiedenen Handlungszentren, sie geraten dann jedoch aus dem Blick. Ständig reden Menschen durcheinander, Stimmen von unterschiedlichen Akteuren, Radio und Fernsehen überlagern sich. Die Männer sind oft unsympathische Egomanen, die noch in der Küche Sonnenbrille tragen und sich unerträglich aufmandeln. Es kriselt fast…