Dieses Reportagebuch ist intensiv wie ein Filmskript. Die Autorin lernte das Journalistenhandwerk an der Columbia-Universität; sie ist aufdringlich nah an ihren Figuren, verrät intime Gefühle, Wortwechsel und Tagebuchnotizen, nennt Klarnamen.
Mansi Choksi berichtet auch grausame körperliche und seelische Übergriffe, und selbst darüber hinaus fiel mir die Lektüre nicht leicht – das Pausieren aber auch nicht. Der Text beginnt dramatisch mit der nächtlichen Flucht eines jungen Liebespaares aus ihrem Dorf, Dawinder und Neetu; die Eltern bekamen Schlafmittel ins Abendessen. Auch die anderen zwei Paare leben teils wie im Krimi – geplant oder ungeplant.
Newlyweds liefert gleich in der ersten Geschichte schlimmstes Nordindien: Dreck, Korruption, Steinzeit-Denke, irrer Fanatismus und arrangierte Ehen mit Wildfremden; dazu brutale Details von „Ehrenmorden“ und schäbigem Betrug. Polizisten, Rechtsanwälte, Politiker, Nachbarn – alles Arschlöcher. Die „Love Commanders”, vermeintlich eine Hilfsorganisation für Liebespaare in Not, entpuppen sich als Love Scam.
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Was mich wunderte:
Bei allen Paaren ist es scheinbar die erste ernsthafte Liebe, doch über Sexualität und entsprechende Tabus sagt Mansi Choksi praktisch nichts.
Die als Hindu aufgewachsene Hauptfigur Monika konvertiert zum Islam, um ihren Arif einfacher heiraten zu können, trägt fortan öfter Burka und lebt in muslimischem Umfeld; doch die Autorin erzählt nicht, was die neue Religion mit Monika macht. Die Autorin sagt offenbar, dass indische Homophobie von den englischen Kolonialisten übernommen wurde und nichts eigentlich Indisches ist – wirklich?
Sto – tell – ry – ing:
Jede der drei Paar-Geschichten wird zweimal unterbrochen, um Episoden der anderen Paare einzuschieben; weitere snippets zu allen drei Paaren folgen im Nachwort. Ich habe jedoch zunächst vollständig die Geschichte des ersten Paares bis zu Ende gelesen, danach die komplette Geschichte des zweiten Paares. Ich finde das Aufsplitten unglücklich.
Mansi Choksi schreibt kurze Kapitel mit coolen Überschriften, unterteilt in sehr kurze Unterkapitel – besonders leicht lesbar, in einfachen Sätzen. Die meisten Kapitel handeln von den Hauptpersonen, einige Kapitel berichten von einem zurückliegenden “Ehrenmord”, von Hindufanatikern allgemein und vom Eherecht samt Goethe-Zitat.
Assoziation:
- Es gibt überdeutliche Parallelen zu einem anderen Buch: The Heart Is a Shifting Sea – Love and Marriage in Mumbai, von Elizabeth Flock (2018). Beide Reportagebücher behandeln drei Paare in Indien, beide sind exzellent und sehr intim geschrieben, jeweils im Original auf Englisch – und beide wechseln mehrfach zwischen den Paaren, erzählen nicht erst eine Geschichte zu Ende, und nehmen sich als Autorin vollständig zurück. Unterschiede: Mansi Choksi erzählt von erster Liebe über konfessionelle oder andere Grenzen hinweg, und ihre Geschichten beginnen in Dörfern oder Städten, Mumbai wird nur gestreift
- Die Kapitelüberschrift „Love Jihad“ erinnert entfernt an das Memoir Lipstick Jihad: A Memoir of Growing Up Iranian in America and American in Iran, von Azadeh Moaveni
- Die zeitgeistigen, düsteren Geschichten voll Gewalt, Irrsinn und Verzweiflung kann man sich bei Netflix vorstellen, aber auch beim Regisseur Mani Ratnam mit Filmmusik von A.R.Rahman
- Webseite der Autorin