Sebastian Haffner: Rezension der Haffner-Biografien von Uwe Soukup (2001) und Jürgen Peter Schmied (2010) – 7 Sterne – mit Video


Diese zwei Bände über Sebastian Haffner habe ich gelesen:

  • Uwe Soukup: Ich bin nun mal ein Deutscher – Sebastian Haffner (2001)
  • Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner, Eine Biografie (2010)

Uwe Soukup: Ich bin nun mal ein Deutscher – Sebastian Haffner (2001)

Soukup liefert viel Zeitkolorit und Begleitumstände. Wenn ihm danach ist, beschreibt er auch Bedingungen oder Personen genauer, die kaum oder keine Bedeutung für Haffner hatten. Überproportional ausführlich geht Soukup auf Haffners englische Zeit ein, einschließlich der Begegnungen mit George Orwell. Historikerdebatten wie Jürgen Peter Schmied (s. unten) schildert der gelernte Pädagoge und spätere Journalist Soukup nicht, er interessiert sich v.a. für Medien und linke Politik, so etwa für die Londoner Emigranten-“Zeitung” und die “Spiegel”-Affäre. Soukup schreibt überwieged flüssig lesbar, allerdings mit schalen rhetorischen Fragen und wiederholt zu bewundernd.

Soukup legt etwa 344 Seiten vor, davon etwa 289 Seiten Haupttext, der Rest Anmerkungen, Register usw. In den Fußnoten mischt Soukup reine Quellenangaben mit interessanten Hintergrundinformationen; man weiß also nie, ob sich das Nachschlagen im Anhang lohnt – wie bei so vielen Sachbuchautoren. Auf 32 nicht paginierten Bildseiten erscheinen blasse Portraits und viele Repros von Buchtiteln und Artikeln.

Soukup kontaktierte Haffner einst kurz vor dessen Tod, weil er dessen vergriffene Bücher wie “Der Verrat” neu herausbringen wollte. Später half er auch bei der Entdeckung eines weiteren Stücks Haffner-Biografie, der “Geschichte eines Deutschen”.

Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner, Eine Biografie (2010)

Der Historiker Jürgen Peter Schmied (geb. 1974) hatte weit besseren Zugriff auf Haffners Archiv als Soukup und zitiert so in dieser gekürzten Dissertation auch ausführlich aus nicht abgeschickten Briefen und unveröffentlichten Manuskripten. Schmied interessiert sich vor allem für Haffners politische Entwicklung und seine wechselnden politischen und historischen Ansichten, die er detailliert nachzeichnet.

Schmied hat Haffners enormen Ausstoß offenbar gründlich gelesen und kombiniert in der Nacherzählung oft auch zusammengehörende Thesen aus unterschiedlichen Publikationen und Erscheinungsjahren: zum Beispiel kombiniert er Haffners Besprechung von Fests Hitler-Buch mit der ausführlichen Vorstellung von Haffners eigenem Hitler-Buch, das fünf Jahre später erschien – insgesamt ein souveräner Umgang mit dem Stoff. Dazu liefert Schmied kurze historische Erläuterungen.

Haffners Privatleben, seine Beziehungen und Lebensumstände vernachlässigt Schmied dagegen komplett. Wie etwa Haffners Familien in England und Deutschland durch den Krieg kamen – praktisch kein Wort davon. Hier gibt es mehr bei Soukup (s. oben). Irgendwann bekommt Haffners zweite Frau wie nebenbei eine halbe Seite Text, ihr Foto erscheint erst viele Seiten danach anlässlich des halben Absatzes zu ihrem Tod. Was aus der ersten Frau wurde, berichtet Historiker Schmied nicht; etwas mehr erfährt man bei Uwe Soukup.

Haffner als Mensch, Redaktionsmitarbeiter, Kollege und Gesprächspartner der Politiker findet nur auf insgesamt zwei oder drei Seiten statt. Begegnungen mit bekannten oder unbekannten Figuren gibt es kaum, allenfalls die Pressestars Henri Nannen und David Astor (beim Observer) spielen gewisse Nebenrollen, außerdem Arnulf Baring und Reich-Ranicki. Ganz am Rand erscheinen Willy Brandt und Richard Nixon, diese jedoch kaum in Interaktion mit Haffner.

Die Konzentration auf Haffners Denken verblüfft umso mehr, als Schmied Haffner wiederholt Wendigkeit und Beliebigkeit in der Argumentation unterstellt und bei Haffner “schrille Obertöne”, “Neigung zu einer gehobenen Panikmache” und “fortgeschrittene Kenntnisse in der Kunst der Rabulistik” diagnostiziert und all das im Epilog noch einmal unterstreicht. Da scheint Schmieds seitenlanges Nacherzählen Haffnerscher Gedankengänge ebenso obsolet wie die breit nacherzählten Kritiken der Historikerzunft.

Andererseits lobt Schmied Haffners Formulierungsgabe immer wieder (“mit brillanter Verve”) und liefert dazu viele unterhaltsame bis drastische Haffner-Zitate. Englisches übersetzt Schmied ins Deutsche, mindestens einmal zu wörtlich; ich hätte es gern auch oder nur auf Englisch gelesen, zumindest im ohnehin ausführlichen Anhang.

Schmied selbst formuliert halbwegs lesbar, zwar auch eher bieder, aber nicht akademisch-unlesbar. Mindestens drei Mal schreibt er jedoch schmerzhaft “Gebahren”, und jeden Tippfehler der Originaltexte reproduziert er mit aufgeregtem “[sic!]”. Die o.g. Biografie von Uwe Soukup erwähnt er nur zweimal, wie den Text eines glühenden Verehrers (so stellt sich Soukup auch selbst dar).

Meine Hardcover-Ausgabe von C.H. Beck hat 683 Seiten, davon 481 Seiten Haupttext und 149 Seiten Fußnoten, außerdem Danksagung und Quellenverzeichnis. Die zahlreichen Fußnoten platziert der Verlag erst am Ende des Buchs. Manche Fußnoten enthalten nur ausführliche Quellenhinweise, andere interessante Hintergrundinformationen und Belege für reine Verallgemeinerungen im Haupttext.

Direkt auf den Haupttextseiten erscheinen einige interessante Schwarzweiß-Familienfotos in passabler Qualität. Das dicke Buch ist auch sonst gefällig produziert – Papier, Satz, Umschlag wirken ansprechend.

Der Deutschlandfunk über Schmieds Haffner-Buch:

Jürgen Peter Schmieds Biografie ist, trotz ihres beträchtlichen Umfangs, alles andere als unlesbar. Sie ist glänzend geschrieben, in einer eleganten, variantenreichen Sprache, und im historischen Urteil stets reflektiert und abwägend. Weder wird Haffner heroisiert, noch verdammt, sondern so gezeigt, wie er war: mit seinen Widersprüchen und Irrtümern, aber auch mit seinen Verdiensten um die Streitkultur und die historische Aufklärung in unserem Land. Mit dieser faszinierenden Darstellung hat einer der Großen der deutschen Publizistik im 20. Jahrhundert eine angemessene Würdigung erfahren.

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