Rezension Kurzgeschichten: Like Birds, Like Fishes, von Ruth Prawer Jhabvala (1963) – 8 Sterne

Sechs der elf unverbundenen Kurzgeschichten erschienen im New Yorker. Ruth Prawer Jhabvala erzählt meist von städtischen indischen Mittelschichtfamilien der frühen 1960er Jahre. Mal beschreibt Prawer Jhabvala mit vielen Dialogen einen einzigen Nachmittag in einer Familie; mal rafft sie ein ganzes Leben auf 20 Seiten zusammen, fast ohne Dialog.

Doch stets fließen die Geschichten stimmig dahin, ohne dass man je stutzt. Ihr Englisch sitzt immer auf dem Punkt, ohne jede Affektiertheit oder Marotte. Prawer Jhabvala (1927 – 2013) spießt lakonisch-unbeteiligt Missgunst, Egoismus, Raffgier, Rüdheit, Statusdenken und Bigotterie in der Großfamilie auf. Liebe und Herzenswärme gibt es nicht – oder höchstens doch im Ton der Erzählerin, wenn schon nicht in ihren Figuren?

Unter Indern:

Gelegentlich verwendet die Autorin indische Ausdrücke ohne Erklärung oder man fragt sich, wo all’ die Geschichten spielen (offenbar in Delhi, der Name fällt jedoch nicht). Diese Mängel stören aber ausnahmsweise nicht. Zusätzliche Informationen würden die schlanken, nüchternen Stories nur aufblähen und von den treffenden Skizzen der Hauptfiguren ablegen.

Europäer spielen in den meisten Geschichten keine Rolle. Eine turbulente indische Großfamilie (“The Aliens”) hat jedoch eine brave englische Schwiegertochter; deren unterentwickelte Kurven rufen Kritik hervor. Eine andere Geschichte spielt unter jüdischen Nazi-Flüchtlingen in London, ganz ohne Inder. Hier verarbeitete Prawer Jhabvala sicher jeweils ihr eigenes Leben (schade, dass sie über sich selbst nie ausführlich non-fiktional beschrieb).

Sie zanken, sie jammern, sie machen und tun:

Auch fällt auf: Frauen sind die Energieträger in diesen Geschichten, sie zanken, sie jammern, sie drohen, machen und planen, und sie wollen endlich raus aus der lärmenden Großfamilie (wie einst Prawer Jhabvala in Delhi?). Die Männer ducken sich nach Möglichkeit weg, vor den Frauen, vor der Arbeit, vor der anstrengenden Karriereleiter, und lassen sich gern bemuttern. Eheliche Pflichten bewältigen die indischen Herren der Schöpfung nicht immer, weshalb gleich drei U20-Frauen in dieser Kurzgeschichtensammlung unbekümmert den Pfad des Erwarteten verlassen. Einmal schreibt Prawer Jhabvala auch über einen gestrengen Guru und seine dummen Anhänger; das Thema kehrt teils in ihren anderen Büchern wieder und erinnert momentweise auch an V.S. Naipauls Mystischen Masseur.

Wer diese Geschichten von einfachen, aber nie notleidenden Indern mag, sollte auch Prawer Jhabvalas vergleichbare frühe Romane lesen, etwa The Householder, Amrita oder Esmond in India.

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