Rezension: Ein ausgebrannter Fall, von Graham Greene (Roman 1960, engl. A Burnt-Out Case) – 7 Sterne – mit Presse-Links

Ein berühmter Architekt verbringt anonym einige Wochen auf einer Lepra-Station in Belgisch-Kongo (später Zaire, heute Demokratische Republik Kongo). Er fühlt sich ausgebrannt und ohne Lebenslust, jenseits von Liebe, Gott und Karriere; aber “ausgebrannt” hat in der Lepra-Behandlung noch eine andere, interessante Bedeutung.

Graham Greene (1904 –1991) schreibt knapp, präzise und sehr stimmungsvoll, unaufdringlich genau, reduziert – meisterlich. Das schwüle, drückende Äquatorland wird lebendig, ohne dass Greene mit Adjektiven oder Drama auftrumpft oder seine Vor-Ort-Recherchen überbetont (ich kenne nur das englische Original und kann die Eindeutschung von Dietlind Kaiser nicht beurteilen).

Allerdings: Der Autor konstruiert sprachlich überzeugend einen eher schwachen Inhalt. Graham Greene, der zweifelnde Christ, der nie als “katholischer Autor” bezeichnet werden wollte, bevölkert den Roman mit Figuren, die allzu deutlich bestimmte Ideen verkörpern:

  • der Atheist Dr. Colin, der nüchtern Gutes tut
  • der Mönch, dessen praktisches Samaritertum für kirchliche Rituale keine Zeit mehr lässt
  • der missionierende katholische Laie, der nur heilig-hohl daherredet (“Rycker was like a wall so plastered over with church announcements that you couldn’t even see the brickwork behind”)
  • der ausgebrannte, melodramatische Querry, dem alles egal ist und der zu deutlich an einen ausgebrannten Schriftsteller erinnert (“you can brainwash yourself into anything you want – even into marriage or a vocation… the marriage or the vocation fails… it’s the same with belief”)
  • der aufdringliche Journalist Parkinson, der alles, aber auch alles falsch wiedergibt
  • die hübsche, dumme, schlaue Kindfrau Marie

Wegen der Konzentration auf religiöse Debatten und konstruierte Figuren erinnert Ein ausgebrannter Fall nicht deutlich an andere große Kongo-Romane wie Conrads Herz der Finsternis oder V.S. Naipauls An der Biegung des großen Flusses – Politik und Bedrohung durch finstere Mächte spielen in Ein ausgebrannter Fall keine Rolle (obwohl das Land zur Zeit von Greenes Kongo-Recherchen durch Unruhen ging, die er selbst erlebte, und etwas später unabhängig wurde; politische Elemente finden sich eher in den Greene-Romanen Stunde der Komödianten, Der Honorarkonsul und Ein stiller Amerikaner).

Und wie immer im schwül-heißen Greeneland, sei es im Kongo, in Vietnam, Haiti, Kuba oder Sierra Leone: Weiße, Alkohol-affine Männer tragen die Geschichte; Einheimische erhalten kaum eine Bedeutung.

Dazu kommt: Besonders viel Handlung gibt es nicht. Greene bringt immer wieder lange, halb philosophisch-religiöse Gespräche; dann dreht er die Handlung ein kleines Stück weiter; dann das nächste philosophische Gespräch, alternativ eine naive Geschichte in der Geschichte. Das ist deutlich aufdringlicher als in den Greene-Romanen Das Herz aller Dinge, Ein stiller Amerikaner oder erst recht Stunde der Komödianten (vielleicht ähnlich aufdringlich wie im Honorarkonsul). Wohl wegen dieser relativ schwachen Handlung wurde Ein ausgebrannter Fall anders als viele weitere Greene-Romane nicht verfilmt. Trotzdem habe ich nie erwogen, den 200-Seiten-Roman beiseite zu legen – eine gewisse Spannung entsteht durchaus, vor allem im letzten Viertel und im nächtlichen Finale, das sehr filmi wirkt.

Bei der Recherche für diesen Roman verbrachte Graham Greene 1959 mehrere Wochen auf einer Leprastation im Kongo. Einige seiner Kongo-Reisenotizen und Romanideen erscheinen im veröffentlichten Tagebuch In Search of a Character, dessen grübelnder Tonfall deutlich an den Roman selbst erinnert. Viele Auszüge aus diesem Tagebuch und weitere Hintergründe zum Roman finden sich auch im dritten Band von Norman Sherrys Graham-Greene-Biografie ab S. 153. Sherry spürte auch einige Vorbilder auf, so die Arztfamilie, den Plantagenbesitzer und die mutmaßliche Vorlage für den Journalisten Parkinson.

Im Vorwort zum Roman betont Greene, dass die Personen frei erfunden seien – dabei hätte man den Arzt Michel Lechat, mit dem Greene damals sprach, lieber kennengelernt als die holzschnittartigen, wenn auch teils unterhaltsamen Romanfiguren. Norman Sherry sprach und korrespondierte 30 Jahre später mit Lechat und dessen Frau, erzählt aber nicht viel Interessantes.

Neben Ein ausgebrannter Fall spielt nur ein weiterer Greene-Roman in Afrika: das in Sierra Leone angesiedelte, etwas dramatischere Herz aller Dinge/The Heart of the Matter; afrikanische Atmosphäre hat allerdings auch Greenes Haiti-Roman Die Stunde der Komödianten/The Comedians. Die von deutschen U-Booten bedrohte Schiffsreise von England nach Sierra Leone beschreibt Greene ebenfalls im Tagebuch-Band In Search of a Character – und Motive dieser Reise verwendet Greene in Stunde der Komödianten.

Medienstimmen:

New York Times: The protagonist’s tiredness and detachment affect the novel as a whole. 

Kirkus Review: a finale which is regrettably closer to farce than to tragedy…..

Norman Sherry im dritten Band seiner Greene-Biografie, S. 154: he scrutinised his own spiritual barrenness. It is Greene’s view of his own abyss

Paul bei Goodreads.com: It could really have taken place anywhere… Greene can certainly write and the novel reads very easily.

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