Rezension: Die Erleuchteten, von Miguel Syjuco (Philippinen-Roman 2010, engl. Ilustrado) – 5 Sterne – mit Presse-Links& Video

Fazit:

Miguel Syjuco schreibt gut lesbar und smart, jedoch gelegentlich zu vulgär. Das Stakkato aus vielen verschiedenen fiktiven, immer wieder unterbrochenen Texten mit multiplen Cliffhangern ist Geschmackssache.

Wechselnde Perspektiven:

Der Ich-Erzähler heißt wie der Buch-Autor Miguel Syjuco, und er erzählt das Leben des mutmaßlich ermordeten, exzentrischen fiktiven philippinischen Autors Crispin Salvador Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts auf den Philippinen und in den USA.

Dabei wechselt Syjuco immer wieder zwischen verschiedenen Perspektiven und fiktiven Texten: Längere Zitate aus fiktiven Büchern und Essays des fiktiven Autors, Recherchebericht und Alltagsleben des Biografie-schreibenden Autors, Rückblenden ins Leben des Ich-Erzählers und in seine illustre Familie bis ins 19. Jahrhundert, Blogger samt Nutzerkommentaren und Spam, Gedankenstrom oder Traum des Ich-Erzählers jetzt in der dritten Person, längere Zitate aus der entstehenden Biografie, Bericht über die Bekanntschaft von Ich-Erzähler und Autor in New York.

Witzfigur:

Syjuco flicht sogar eine Serie von angeblich landestypischen Witzen ein, bei denen der Filipino stets als Banause dasteht. Die meisten dieser Witze könnten jedoch auch in beliebigen anderen Ländern spielen, einen habe ich vor 40 Jahren im Rheinland gehört. Die Witze sind überwiegend flach, teils ordinär, doch der Schwank über porch und Ferrari hat mich laut lachen lassen, auch wenn er nicht völlig plausibel klingt.

Dass im Schnitt einmal pro Seite die Perspektive drastisch wechselt, und das gern an spannenden Stellen, stört den Lesefluss. Zwar ändert sich mitunter die Schriftart, doch je nach Seitenumbruch erkennt man die geänderten Bezüge nicht immer gleich. Auch wenn der Autor die immer wieder unterbrochenen Handlungen aus Recherche-Bericht oder fiktiven Salvador-Büchern einige Seiten später wieder aufnimmt, ist mir der Stakkato-Effekt zu hart. Den politisch-kriminellen Umwälzungen konnte ich nicht ganz folgen, auch nicht der überraschenden Entwicklung im Nachwort.

Trickery:

In seinem kursivierten Gedankenstrom denkt der Ich-Erzähler (der ja so heißt wie Autor Syjuco):

And those damn confusing experiments with style. The thing is to write a straight narrative. That’s the trick: no trickery.

Doch Syjuco überfrachtet seinen Erstling mit trickery und verachtet straight narrative. Er schreibt dabei sehr flüssig, elegant, gebildet und betont cool, manchmal schon aufdringlich smart, und ich habe mehr Vokabelprobleme als bei den meisten anderen englischen Romanen (ich kenne nur das englische Original, Ilustrado, und kann die Eindeutschung nicht beurteilen).

Der Ich-Erzähler hat Pornos und eine Freundin, und regelmäßig schreibt er etwas ranzig-vulgär pubertär, gelegentlich auch brutal. Syjuco flicht zu viele banale Alltäglichkeiten über Flugpassagiere oder Musik im Radio ein, erklärt die Aussprache seines eigenen Namens und beklagt zu laut die Missachtung des philippinischen Beitrags zur Weltliteratur. Gelungen im letzten Drittel die Mischung aus Naturkatastrophe, politischem Aufruhr und kleiner Liebesgeschichte in Manila in der erzählten Jetzt-Zeit (natürlich erzählt mit vielen Unterbrechungen).

Der fiktive Crispin Salvador schreibt sehr exzentrisch und gegen den Mainstream. Man hat den Eindruck, dass Syjuco vor allem sein eigenes Autorendasein und seine eigene reiche Familie verwertet und weiterprojiziert, ebenso wie seine Alltagserlebnisse von letzter Woche.

Offenbar war dieses Buch ebenso wie Awaiting Trespass. A Pasión von Linda Ty-Casper auf den Philippinen verboten.

Die Kritiker:

Frankfurter Allgemeine:

Was auf einer komplizierten Konstruktion fußt, liest sich erstaunlich leicht. Es ist ein großer Wurf…

Spiegel:

…eine fremd wirkende und überwältigende Welt… Immer wieder gelingen Syjuco atmosphärisch sehr starke Passagen.

Deutschlandradio Kultur:

…mit verblüffender Gewitztheit und einer literarischen Ambition, die nur manchmal zur Selbstgefälligkeit tendiert

Neue Züricher Zeitung:

mit einer lebendigen Vielfalt von Geschichten…, mit Einsichten in die philippinische Welt, die politischen Machenschaften der Herrschenden

Kulturaustausch.de:

Die eingestreuten Witze von philippinischen Einwanderern in New York sind schal, Syjucos Sprache gelegentlich überdreht, manche Szenen schlicht überflüssig.

New York Times:

“Ilustrado” received the Man Asian Literary Prize in 2008. Spiced with surprises and leavened with uproariously funny moments

Guardian:

Many if not most of the narrative mechanisms of this first novel don’t actually work… Neither of these characters ((die zwei Hauptfiguren)) comes to life…

Washington Post:

Wildly entertaining… extremely enjoyable… more a novel of wonderful parts than a completely successful whole…

Independent:

We are presented with a bricolage of passages from Salvador’s writings, texts and blogs from political commentators, and a picaresque tale

Financial Times:

Beyond Ilustrado’s furious skewering of Filipino elites is writing that bristles with surprising imageryAn unruly and energising novel

The Complete Review:

The political class and the writing class are particularly well (and often cruelly) captured… often appealing but ultimately too far-flung and -reaching



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