Rezension Biografie: Churchill, von Sebastian Haffner (1967) – 6 Sterne – mit Presse-Links

Ein Band in der Reihe rororo Monographien, der später auch außerhalb der Reihe erschien. Meine rororo-Ausgabe hat gut 160 Seiten Haupttext (plus Anhang), durchsetzt mit Bildern in passabler Druckqualität, die manchmal 50 Prozent einer Doppelseite ausfüllen.

Fazit:

Haffner (1907 – 1999) schreibt einen bezwingenden, überzeugenden Ton – manchmal fast schon autoritär bis rabiat -, man kann ihn kaum weglegen. Er schreibt sehr persönlich, mit Ausrufen, Ausrufezeichen, rhetorischen Fragen und ohne Interesse an neutralem Klang. Haffner hält allerdings zu sehr mit Fakten zurück, will demonstrativ kein Schulbuchwissen vermitteln, lässt mehr aus als nötig. Außerdem fehlen Landkarten – ein grober Mangel bei der Beschreibung von Winston Churchills Kriegsplanungen.

Haffner malt mit kräftigem Farben und grobem Strich, er arbeitet keine Details heraus: Haffner verallgemeinert meist und verzichtet auf markante Einzelereignisse oder köstliche Churchill-Zitate – umso verblüffender, dass er sich doch gut liest, das Dativ-e verstört hier weniger als in anderen Texten.

Vorkenntnisse erwartet:

Haffner interessiert sich sehr für die englische Parteienlandschaft und Spitzenpolitiker-Konstellationen. Haffner setzt viel Wissen schon voraus, er diskutiert eher, als das er Schulbuchwissen aufreiht. So berichtet er von Englands Kriegserklärung an Deutschland 1939 – erwähnt aber nicht, dass Deutschland zuvor Tschechien und dann Polen überfallen und Polen einen Beistandspakt mit England hatte. Haffner produziert lange Was-wäre-gewesen-wenn-Spekulationen und rhetorische Fragen; doch die Konferenz von Jalta oder die fünf Churchill-Kinder erscheinen nicht ein Mal.

Über viele Seiten zeichnet Haffner die politische Stimmung in England, ohne sie mit einem Zitat zu belegen. Ich weiß: Haffner lebte von 1938 bis 1954 als Journalist in England. Er kannte die Stimmung auch so (und Churchill lobte sein Buch Germany. Jekyll & Hyde (1940)). Dennoch fehlen dem Text Fakten und Belege, er hat zu wenig Griff. Man hat den Eindruck, dass Haffner aus dem Gedächtnis ohne großes Quellenstudium schreibt. Vielleicht liegt es auch an Haffners Londoner Zeit, dass er englische Begriffe nicht kraftvoll genug in die eigene Sprache überträgt; stattdessen präsentiert er blasse Umdeutschungen: Sinekure, hypokritisch, Tank statt Panzer oder Kampagne statt Feldzug.

Ich kenne auch die jeweils 1000seitigen einbändigen Churchill-Biografien von Gilbert und Jenkins; Haffner himmelt Churchill weniger an als die gerühmten englischen Autoren (nur der Deutsche spekuliert ansatzweise einmal über Churchills voreheliches Liebesleben), sieht ihn aber gleichwohl positiv. Einige Fakten schildert Haffner deutlich abweichend von Gilbert und Jenkins (die mehrere Jahrzehnte nach Haffner veröffentlichten und weit mehr Archivzugang suchten und hatten).

Pressestimmen zum Buch:

The Telegraph über die englische Version:

all the signs of having been written long ago (Haffner wrote it shortly after Churchill’s death in 1965) and in a hurry, without benefit of access to proper documentary

Die Zeit:

…sein wunderbares Churchill-Porträt

Der Spiegel:

…eine hinreißende Biographie

Marcel Reich-Ranicki:

Mir ist sein Buch über Churchill besonders im Gedächtnis geblieben

Süddeutsche Zeitung:

gelten bis heute fraglos als ein Meisterwerk der Historiographie… ein Wunder an Anschaulichkeit bei gleichzeitiger äußerster Verknappung

Haffners Tochter im Deutschlandradio Kultur:

Er hat Churchill wirklich geliebt. Er hat mal gesagt: Das Buch über Churchill war mit Liebe geschrieben… das war sein Lieblingsbuch

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