Rezension Biografie: Barack Obama, The Story, von David Maraniss, (2012) – 7 Sterne – mit Video & Presse-Links

Das Buch reicht von Obamas Urgroßeltern in Kansas und Kenia bis zu Obamas Jurastudiumbeginn 1988 in Harvard. Es endet also deutlich vor Beginn der politischen Laufbahn.

Washington-Post-Journalist Maraniss erzählt ausführlich aus dem Kansas der 1920er Jahre, in Kenia geht er kurz zurück bis auf 1820. Fast stolz erwähnt Maraniss im Vorwort, dass der spätere US-Präsident Obama selbst erst im siebten Kapitel erscheine (also auf der 179. von 584 Seiten Haupttext einschl. Einführung, und dann zunächst nur ganz kurz).

Kleinigkeiten:

Immer, wenn man in der ersten Buchhälfte denkt, jetzt kommt die Geschichte endlich in Gang, tischt Maraniss entlegene historische Kleinigkeiten auf.

Maraniss nennt im ersten Buchteil viel zu viele Einzelheiten, etwa über die Käffer, in denen die Urgroßeltern und Großeltern lebten, jedoch Eltern und Sohn Obama kaum oder gar nicht. Ausführlich beschreibt Maraniss das Leben von Obamas kenianischem Vorfahren ab etwa 1910 und die Erlebnisse eines Großonkels mütterlicherseits im zweiten Weltkrieg. Obamas eigenwilliger afrikanischer Großvater erscheint so ausführlich, dass man ihn fast für die Hauptfigur hält. Obamas Vater und sein Land werden auch dann noch genauestens verfolgt, als Obama senior schon Jahre aus dem Leben seines Sohns verschwunden ist.

Obamas Mutter und Indonesien erhalten weit weniger Aufmerksamkeit als Kenia und der Vater – wie auch in Obamas eigenen Jugenderinnerungen. Maraniss gräbt dazu immer wieder sehr unwichtige Nebenfiguren aus, die irgendetwas vor Jahrzehnten aus der Ferne beobachtet hatten; sie sind manchmal ganz interessant, sie ermüden aber auch.

Spürsinn:

Der Eindruck bleibt, Maraniss wolle seine detektivischen Spürsinn herausstellen: etwa mit der Geschichte des US-Journalisten, der einen Artikel schrieb, der Barack Obama senior in Nairobi beeindruckt hatte; oder mit der Erwähnung eines hawaiianischen Astronauten, dem Barack Obama jr. als Zweijähriger zujubelte. In unvermeidlichen historischen Koinzidenzen will Maraniss immer wieder signifikante Parallelabläufe entdecken. Maraniss zieht einige interessante Vergleiche zum jungen Bill Clinton, über den er ebenfalls eine Biografie schrieb.

Mehrere Seiten verwendet Maraniss dann wieder auf den Nachweis, dass etwas vermutlich *nicht* passierte, nämlich dass anders als bisher behauptet Obamas Großvater nicht Monate im Gefängnis saß (diesen Nachweis eines Nicht-Ereignisses brächte Maraniss besser zwischen den anderen langen Anmerkungen am Buchende). Maraniss redete übrigens immer wieder mit Interviewpartnern, die schon mehrfach Besuch von Buchautoren erhalten hatten, denn etwa zeitgleich recherchierte Janny Scott ihr Werk über Obamas Mutter und Sally H. Jacobs den Band über Obamas Vater.

Mitunter überrascht Maraniss andererseits mit Detail-Armut: An den Hochschulen in Los Angeles und New York verbringt der junge Obama viel Zeit mit sehr interessanten Figuren, die wir namentlich kennenlernen – doch was später aus den Kommilitonen wurde, darüber sagt der sonst so faktenversessene Maraniss nichts. Die letzten Teile über Obamas Zeit als Sozialarbeiter in Chicago und als Tourist in Kenia handelt Maraniss überraschend flüchtig ab; entweder er war müde, oder hier wurde überproportional zusammengestrichen.

Stil:

Maraniss schreibt ein leichtes, angenehm zu lesendes Englisch – ohne journalistische Effekte oder sprödes Wissenschaftlertumm – und nimmt sich selbst weitestgehend zurück. (Kurze Reportererlebnisse schildert er nur in der Einführung.) Trotz der zahllosen Interviewpartner vermeidet Maraniss ein atemloses Stimmenstakkato; er springt allerdings zeitweise zu oft zwischen unterschiedlichen Spielorten wie Jakarta, Honolulu und Nairobi.

Maraniss’ Kapitel sind sorgfältig komponiert, mit gelegentlichen Rückblenden, die effektstarke Einstiege ermöglichen. Momentweise schreibt er unaufdringlich literarisch, und er scheint ein Faible für mild poetische Töne zu haben: Maraniss zitiert stimmungsvolle Zeilen nicht nur aus Obamas Briefen und einem Obama-Gedicht, sondern seitenlang auch aus dem Tagebuch einer frühen Obama-Freundin – lyrische Gedanken, die mehr über die Frau als über den Studenten Obama sagen.

Auf etwa 584 Seiten Haupttext (einschließlich der inhaltlich wichtigen, separat paginierten Einführung) folgen etwa 67 Seiten Zeittafel, Anmerkungen, Bibliografie und Index. Im Haupttext zeigt Maraniss einige hochwertige Schwarzweiß-Landkarten und Stadtpläne, die scheinbar aus einem Straßenatlas stammen. Meine Taschenbuchausgabe hat 16 Fotodruckseiten mit weniger bekannten Privatfotos. Allerdings beschreibt Maraniss im Text weitere Fotos, die meine Ausgabe nicht als Bilder liefert.

Unterschiede zur Obama-Biografie von David Remnick (2010):

Während David Remnick Rassenüberlegungen ermüdend ausführlich erörtert, flicht Maraniss in der ersten Buchhälfte historische Randgeschehnisse ermüdend ausführlich ein – aber auch in der Beschreibung der Hauptpersonen liefert Maraniss scheinbar mehr Details als Remnick. Die Landkarten und Stadtpläne bei Maraniss verstärken den Eindruck der Tiefenschärfe noch.

Im Vergleich zu Remnicks Biografie geht Maraniss ausführlicher auf die Vorfahren in Kansas und Kenia ein und berichtet zudem weit mehr aus Kenia und von Obamas Basketball-Spiel an der High School. Maraniss sagt auch weit mehr über die Freundinnen des jungen Barack Obama (Garrow, 2017, zerrt noch eine weitere ans Licht). Remnick bringt ein paar heitere Briefauszüge des jungen Obama; Maraniss bringt privatere Briefzeilen und ein längeres Obama-Gedicht (aber keine Kurzgeschichte). Remnick schreibt ein geringfügig gebildeteres Englisch, das mehr Vokabelkenntnisse voraussetzt.

Remnick begleitet Obama bis zur Amtseinführung ins Weiße Haus 2009. Dagegen zieht Maraniss schon 1988 den Schlussstrich, vor Beginn des Jurastudiums in Harvard – dort, wo auch Obamas eigene Jugendmemoiren enden, deren fiktive Elemente Maraniss weit deutlicher herausarbeitet als Remnick (Garrow ist wohl noch gründlicher). Die von Maraniss bereits angekündigte Fortsetzung werde ich gern lesen.

Pressestimmen:

Deutschlandfunk:

Er beschreibt in nie da gewesenem Detail die Selbstfindung des jungen Obamas… ungewöhnliche Einblicke…

Michiko Kakutani in der NYT:

The president-to-be does not even make an appearance until Chapter 7, and more than 150 pages are devoted to tracing his parents’ peregrinations and family roots

New York Times 2:

Details pile up in encyclopedic volume sometimes unrelated to their significance… Nonetheless, this is a revelatory book

Kirkus Review:

Exhaustive, respectful… masterful and moving… Another in the author’s line of authoritative biographies.

The New Yorker:

Maraniss follows Obama to Africa for only a few short pages…

New Republic:

an amazing feat of reporting, but it feels raw and under-processed; one wonders whether he really intended to end it so early in his subject’s life

Politico:

A nuanced, even sympathetic portrayal culled from people who still admire Obama…

Washingtonian:

If you love exhaustive, sprawling biographies, you’ll want to free up some serious real estate on your shelf for David Maraniss’s Barack Obama

Slate.com:

He cracked sources who’d never before talked about the president — ex-girlfriends, pot-smoking buddies, roommates.


https://www.youtube.com/watch?v=5cCk8OitQBM
https://youtu.be/daubxJWFDDg

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