Malaysia-Roman: Die Seidenmanufaktur “Zur schönen Harmonie” – The Harmony Silk Factory (2005), von Tash Aw – 4 Sterne

Thailand

Der Roman umfasst die 1920er bis 1960er Jahre in der malaysischen Provinz – also von der englischen Kolonialherrschaft über die japanische Besatzung bis hin zur Unabhängigkeit. Der Schwerpunkt liegt in den 30er und 40er Jahren.

Im Mittelpunkt steht der junge Johnny Lim, ein skrupelloser Geschäftsmann und Gelegenheitsverbrecher chinesischer Herkunft. Aus kleinen Verhältnissen arbeitet er sich opportunistisch und intrigant nach oben (engl. Originaltitel The Harmony Silk Factory, dt. Titel Die Seidenmanufaktur “Zur schönen Harmonie”, ich habe das englische Original gelesen).

Drei Sprecher:

Autor Tash Aw gliedert den Roman in drei Teile, jeder hat einen anderen Sprecher. Allerdings klingen die Sprecher verwechselbar gleich; und auch wenn sich die geschilderten Zeitabschnitte teils überschneiden, erscheinen nicht alle Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven.

Auf den ersten 100 Seiten erzählt Tash Aw aus der Sicht von Lims Sohn Jasper, der wiederum das Leben seines Vaters beschreibt. Dabei springt der Sohn zwischen den Zeitebenen und kündigt Tragödien gelegentlich mit unheilvollen Worten an. Hier schreibt Aw nur wenig Dialoge.

Ganz glaubwürdig wirken die Geschichten nicht, eher schon wie magischer Realismus oder James Bond: Mindestens ein oder zwei seiner tollkühnen Intrigen hätte Slim nicht überleben dürfen.

Die Stimmen überzeugen nicht:

Der zweite Teil gibt das Tagebuch von Lims 21jähriger Ehefrau Snow Soong wider, klingt aber eher nach dem Bericht einer sehr reflektierten und selbstreflektierenden Ich-Erzählerin – jetzt mit reichlich Dialog, wenn auch sprachlich so ambitionslos wie Teil 1. Die Ereignisse sind äußerst unrealistisch, aber beladen mit aufdringlichen Symbolen und Metaphern. Eine Hauptfigur heißt auch noch Wormwood (Wermut(tropfen/kraut)).

Im dritten Teil redet Peter, der englische Freund Johnny Lims. Teils schildert Peter ein Geschehen, das wir schon aus Snows Tagebuch in Teil 2 kennen. Doch wie er Lim kennen- und schätzenlernt, wirkt eher romantisch idealisierend und wenig nachvollziehbar.

Aber Hobbygärtner Tash Aw lässt seine Figur Peter auch gedehnt über das Gärtnern in einem malaysischen Altenheim 50 Jahre später räsonnieren (es hat nichts mit der Haupthandlung zu tun und erinnert vage an die alten Herrschaften aus Bodo Kirchhoffs Infanta, das in einem heißen Philippinen-Nest spielt).

Zur Sprache:

Das Buch lässt sich sehr leicht lesen. Die Sprache im englischen Original entzückt allerdings keinen Moment – es gibt kein Funkeln, keine unterschwelligen Bedeutungen; dies gilt für alle drei Buchteile mit ihren drei verschiedenen Ich-Erzählern. Die Personen haben wenig Tiefe; auch Landschaft, Regen, Hitze, Naturereignisse werden nicht lebendig. Die drei Sprecher klingen kaum unterscheidbar.

Meine Taschenbuchausgabe von Harper Perennial bringt im Anhang ein Interview mit Aw sowie ein paar Buch- und Filmtipps, außerdem Aws “Top Ten Books” (wenig Asiatisches).

Gern kompliziert:

In seiner Selbstauskunft am Buchende sagt Aw aufschlussreich:

“I’ve always been drawn to novels with complicated structures.”

Er mixe gern nicht Zusammengehörendes, so wie auch in der Harmony Silk Factory:

“Little things that become more noticeable, less taken for granted, when moved out of their ‘natural’ environment… little digressions… tiny collision”.

Das lässt auch an Romanakteur Wormwood denken, der auf einem einsamen Malaien-Eiland italienische Opern schmettert, und an verschiedene andere bizarre Kombinationen. Aw sagt aber auch selbst:

“There was no logic or planning to my mixing of these elements.”

Ja, es wirkte manchmal so.

[fsg_gallery id=”17″]

Andere Malaysia-Romane:

Ebenfalls im O-Ton am Buch Ende erklärt Aw, es gebe wenig gute Romane aus Malay(si)a – mit Ausnahme der Malaysia-Bücher von Anthony Burgess falle ihm da nur Joseph Conrad ein; also habe er, Aw, das Malaysia-Genre erweitern wollen.

Ich kenne auch kaum überzeugenden Romane zu Malay(si)a (noch weniger zu Thailand oder Indonesien, aber viel mehr zu Indien). Allerdings überzeugt Burgess in Malaysia auch nicht ganz, und Aw noch weniger.

Bemerkenswert, dass Aw die Malaysia-Kurzgeschichten von W. Somerset Maugham nicht nennt – entweder, weil sie nicht ins Romanfach gehören oder weil er sie nicht für wichtig hält. Formal schreibt Maugham jedenfalls weit abgerundeter als Aw (und das bei Aw immer wiederkehrende “for a whilst” erinnert etwas ans Maughams regelmäßiges “a trifle”).

The Harmony Silk Factory erinnert atmosphärisch momentweise an Rani Manickas Roman Töchter des Monsuns, der ebenfalls Malaysia im zweiten Weltkrieg zeigt.

Fazit:

Tash Aw hat eine interessante Geschichte und macht nicht viel daraus. Die Wiedergabe durch unterschiedliche Personen fesselt nicht, weil die Geschichten über längere Strecken nicht korrespondieren und weil die Sprecher weitgehend gleich klingen – die Sprache bleibt insgesamt blass, der Roman erzeugt kaum Wirkung.

Wesentliche Abschnitte sind unrealistisch, melodramatisch oder symbolisch überhöht. Die titelgebende Harmony Silk Factory spielt nur eine kleine Rolle.

Kritiken:

The Harmony Silk Factory wurde überwiegend gelobt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

“Die Romanfiguren flimmern und reichen in ihren flotten Dialogen Komplimente, denen ein Messer zwischen den lächelnden Lippen steckt. Der Schauplatz wird zwar umstandskrämerisch, meistens aber ohne sentimentales Summen skizziert, der Orient nicht mit Räucherstäbchen-Mystik vernebelt”

Literaturschock:

“Am ermüdendsten fand ich den letzten Teil des Buches. Peter wechselt in seiner Erzählung zwischen seinem Leben im Altenheim und Rückblenden… Der eigentlichen Geschichte konnte ich allerdings nicht sehr viel abgewinnen

The Independent:

“The vice-like grip of the dead, the paper-thin ties of the living: many compelling themes are braided into this original, haunting novel… Yet there are several loose ends from which readers must spin their own stories”

Powell’s Books:

“Not the exotic, atmospheric, ghost-heavy book that its title seems to suggest”

SFGate:

“A beautifully composed and memorable story about life and death… Clearly Tash Aw is a writer to watch, with a first book anyone who travels by fiction will want to read

Kirkus Reviews:

Atmospherics substitute for credible characterization in this Malaysian writer’s sluggish, awkward account of a man’s many selves”

The Complete Review:

“Aw doesn’t always focus on what’s most compelling, the book building up to dénouements that are, in some cases, of limited interest, while not adequately addressing the most significant questions… The voices are captured quite well, and many of the scenes are nicely done… Perhaps the greatest weakness is that Johnny remains such a cipher…  Über den Perspektivenwechsel: The switch is more distracting than helpful – leaving Johnny just one character among too many, and not allowing it to fully be his story… Oddly, none of the characters in the novel are fully realised… since Johnny himself is not satisfactorily explained the entire book is less than entirely satisfying”

Guardian:

“Aw makes a credible job of modulating the varying tones of voice by which the smiling villain of the first part comes to be seen as the weeping cuckold of the third. But unreliable narration is a tired old trope now, and the reader is left to make up his or her own mind whether the obfuscation and contradictions inherent in this three-cornered portrait of Johnny Lim are a product of the book’s maddening inconsistency, or its mysterious appeal… He writes with what seems like effortless fluidity, yet the dazzling haze of the construction seems ultimately designed to deflect attention from the fact that it frequently demands patient re-reading without really deserving it”

Publisher’s Weekly:

“Aw’s prose, though often witty and taut, is not equally convincing in all its guises”

Lumiere.net:

“When the novel came out in 2005, various reviewers complained of Johnny’s ‘inscrutable’ character, as if Aw had lazily underwritten him, as if Aw simply couldn’t be bothered finishing him off. But this narrative disjunction is the best of the novel”

The Age:

“Seductive, evocative, restrained and flawed… Dealing with loyalty, friendship, love and betrayal in a country on the brink of war and British abandonment, the gap between truth and memory is vividly portrayed. Aw is a gifted storyteller, writing with a poise that convinces a reader to forgive the inconsistencies in his text and an underlying coldness of tone… Written with style and confidence, this refusal to tie-up loose ends is one of the book’s many strengths”



Bücher - Weitere Empfehlungen auf HansBlog.de:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Nach oben scrollen