Kritik Werbeagentur-Roman: Gummi (2003, engl. The Book, the Film, the T-Shirt), von Matt Beaumont – 4 Sterne

Werbeagentur-Chef Greg Fuller in Nöten: Der für den Autoreifen-Werbedreh gebuchte Hollywoodstar sitzt bei der Polizei fest, ein unverzichtbares Kreativteam für Sofaprospekte ist dummerweise gefeuert, die schwangere Ehefrau verlangt dreist Zuwendung, eine zu ehrgeizige Kollegin will ihm an die Wäsche (sie hat freilich unbestreitbare Talente), ein lukrativer Verkauf scheint gefährdet, Gott und die Welt belagern ihn und seine Sekretärin am Telefon.

Romanautor Matt Beaumont (ist der Name eigentlich echt) gefällt sich in allerlei vierbuchstabigem Unrat (“Paul and Shaun, known only to me as Piss and Shit”, S. 12). Zu ermüdend ausführlich schildert Beaumont die Tics und Eingebildetheiten der Hollywoodstars, die im Werbefilm agieren. Ein paar Skandale und Minidramen erzeugen zwar eine gewisse Spannung, doch alles wirkt banal, müffelt teils frühpubertär nach Jungszimmer.

Erzählstil:

Erzählt wird die Geschichte wie ein Gruppeninterview mit den Stimmen aller Akteure: Greg Fuller, Mitarbeiter und Filmmenschen liefern als serielle Ich-Erzähler einen langen Reigen kurzer Statements.

Dieses Konzept überzeugt zwar in den E-Mail-Romanen des Autors, nicht jedoch hier: Die Protagonisten geben sehr viel wörtliche Rede anderer Figuren wieder, das ist untypisch. Aus den unterschiedlichen Perspektiven entspringen kaum Konflikte oder witzige Erkenntnisse. Man hat den Eindruck, dass Beaumont Statements vor allem unterbricht, um Cliffhänger zu generieren. Nie wird erklärt, wie es zu diesem Ich-Erzähler-Reigen kommt (z.B. im Rahmen einer Recherche).

Der Roman würde mehr überzeugen, wenn Beaumont ihn als allwissender Erzähler geschrieben hätte. Vielleicht hat er das sogar, und nur nachträglich ein paar Namen und Personalpronomina ausgetauscht.

Themen-Baukasten:

Der Roman wirkt wie aus mehreren Ereignissen und Motiven zusammengesteckt – ob sie nun zusammenpassen oder nicht. Sie passen nicht. Da gibt’s Ehebruch, Porno, Rührung um ein todkrankes Kind, viel frühpubertäre Fantasie + Sprache, Schwangerschaft, Starkult, Filmproduktion, Motorradverfolgung, schwarzhäutige Angeber.

Vieles wirkt noch unrealistischer, als man es in einer Satire verkraftet. Nur ein Beispiel: Die Werbeagentur kann einen Sofaprospekt nicht produzieren, weil die zwei Kreativen gefeuert und in Spanien sind – wirklich? Der Agenturchef schickt seine Assistentin nach Spanien, um die Kreativen aufzuspüren und nach London zu bringen – wirklich? Die Assistentin fliegt nach Spanien und legt sich sofort am Swimmingpool auf die faule Haut, statt nach den Kreativen zu suchen – wirklich? (Warum sie sich auf die faule Haut legt, wird viel später klar.)

Das passt hinten und vorn nicht. Im letzten Drittel nimmt der Roman eine völlig absurde Wendung nach der anderen. Ich bin bis zur letzten Seite 306 dabei geblieben, weil ich nun schon mal drin war. Hätte ich geahnt, was da alles passiert, hätte ich aber gar nicht erst angefangen.

Vergleich mit Matt-Beaumonts E-Mail-Romanen:

Matt Beaumonts Roman Gummi (2003, engl. The Book, the Film, the T-Shirt) und seine E-Mail-Serie E-Mail an alle (2000), The e. before Christmas (2000) und e2 (2010) ähneln sich deutlich:

  • Inhaltlich: Es gibt jeweils einen grimmigen Werbeagenturchef in Not, der per Sekretärin mit seiner schwangeren Frau kommuniziert. Arme Assistentinnen ringen mit kapriziösen Chefs. Porno und Ehebruch. Elastickleidung. Kriminelle Security vom Balkan oder aus der Türkei. Die Werbung, die in allen Romanen erdacht wird, reißt kaum vom Hocker.
  • Stilistisch: Es gibt jeweils keine Erzählstimme. Die Geschichten erklingen aus Perspektive verschiedener Akteure – entweder per E-Mail oder Chat oder per Interviewschnipsel. Kräftig vulgär, un-pc und derb pubertär sind alle Bände, überall gibt’s Anti-Esoterik-Spott (“positive bio-waves from within”).

Unterschiede fand ich auch: Der Gummi-Roman behandelt nicht nur Agenturen, sondern gutteils auch Filmproduktion und die Tics der Hollywoodstars. Die E-Mail-Romane sind deutlich lustiger.

Weitere Assoziationen:

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