Kritik: Meistererzählungen, von Anton Tschechow (Eine langweilige Geschichte, u.a.) – 6 Sterne

Anton Tschechow (Anton Čechov, 1860 – 1904) erzählt mit feinem psychologischem Gespür, zeichnet Charaktere zurückhaltend und wertfrei. Auch Verwirrte schilderte er nachvollziehbar. Seine Herren der russischen Mittelschicht sind oft weich, selbstmitleidig und schlaflos. Die Damen wirken etwas flatterhaft, nah am Wasser gebaut und wahren Respektabilität wenn überhaupt nur unter Mühe.

Der gelernte Arzt und Erfolgsautor Tschechow rückt seine Lebensbeschäftigungen zu aufdringlich in den Vordergrund: So gehören Kranke, Sterbende und Mediziner zu den Hauptthemen nicht nur in Tschechows viel gerühmter Langweiliger Geschichte, sondern auch in Flattergeist und sehr ausführlich in Krankenzimmer Nr. 6; außerdem reden die Darsteller zu viel von Kunst, von Malerei, von Philosophie und natürlich vom Theater. Sie transportieren erkennbar die Gedanken des Verfassers, das klingt weniger lebensecht. Insgesamt erscheinen die Texte in den Meistererzählungen damit etwas monothematisch.

Weitere Geschichten in den Meistererzählungen u.a.: Die Dame mit dem Hündchen, Herzchen, Der Student, Die Braut (die studiert). Nicht in den Diogenes-Meistererzählungen, aber zum Beispiel in den Meisternovellen bei Manesse, finden sich andere gelobte kürzere Werke wie Die Steppe und In der Schlucht.

Mein Diogenes-Band Meistererzählungen wurde gut lesbar von Peter Urban übersetzt, dazu kommt ein schlecht übersetzter Essay-Auszug von W. Somerset Maugham als Nachwort (das englische, vollständige Original ist hier, ab dem Wort Chekhov). Urban steuerte auch interessante Anmerkungen und Erklärungen bei, u.a. zitiert er zu einigen Orten und Begriffen den Baedeker von 1912 und Lexika aus der Zeit der Jahrhundertwende.

Ich kenne auch den Tschechow-Erzählungen-Band Die Dame mit dem Hündchen, Teil 4 von 4 einer Erzählungen-Gesamtausgabe. Dort finden sich mindestens drei Geschichten, die besser sind als alles in den Meistererzählungen, weil sie echte Handlung und authentische Figuren zeigen und nicht nur weinerliche Grübeleien eines Doktors.

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