Kritik Kurzgeschichten: Männer ohne Frauen, von Ernest Hemingway (1927, engl. Men without Women) – 7 Sterne – mit Video

Der kurze Band bringt nicht weniger als 14 Kurzgeschichten auf knapp 130 Seiten (ich hatte die engl. TB-Ausgabe von Triad Grafton und kann Eindeutschungen nicht beurteilen). Einige dieser short stories gelten als Meisterwerke des Kurzgeschichtenhandwerks überhaupt.

Die Geschichten spielen u.a. in Spanien, Italien, Schweiz, USA und Chicago vor allem unter harten Männern – Jäger, Boxer, Stierkämpfer, mehrfach Soldaten im Lager. Ernest Hemingway (1899 – 1961) schreibt wortkarge, überschaubare Geschichten, die nur einen kurzen Zeitraum linear wiedergeben, ohne Rückblenden (ähnlich wie in der früheren Sammlung In Our Time (mit großen Anfangsbuchstaben)). Atmosphäre entsteht vor allem durch knappe, manchmal angespannte Dialoge voller Zwischentöne. Hemingway psychologisiert nicht und beschreibt nichts. Teils klingt das männlich-herb, wie James Salter, Graham Greene, Louis Begley, John Updike, Richard Yates oder der mittlere V.S. Naipaul; oder wie John Waynes Gang. Diesen Ton gab es in den früheren Geschichten von In Our Time noch nicht.

Viele Geschichten enden etwas belanglos, jedenfalls ohne Paukenschlag oder 360-Grad-Rundung. Abläufe bleiben offen, verschrauben sich in der Leserbirne. Manche stories verstand ich erst nach Lektüre der einschlägigen engl. Wikipedia-Artikel, generell erklärt Hemingway keine Hintergründe und Fachausdrücke (vielleicht stand das mal drin, und er hat es wieder rausgekürzt). Die Hintergründe bräuchte man aber manchmal (es gibt sogar einen englischen Zeile-für-Zeile-Kommentar zu diesen Geschichten, Reading Hemingway’s Men Without Women von Joseph Flora).

Starke Dialoge:

Hemingway schreibt meisterliche Dialoge, je nach Szenario voller Zwischentöne. Gelegentlich klingen die Gespräche für mich etwas zu aufdringlich verächtlich und männlich-herb, etwa bei den Auftragskillern, beim alternden Torero und den römischen Soldaten.

Mehrfach hören wir unterdrückt angespannte Dialoge vor einem Kampf – vor dem Stierkampf, vor dem Boxkampf, vor dem Auftragsmord. Aber Hemingway schreibt gleichwohl viel besser als übliche Krimi-Autoren.

Den einfacheren Leuten (Boxer, Killer) schreibt Hemingway einen herrlich mundfaulen und herb männlichen Slang auf den Leib. Angeberisch cool und doch, selbst wenn man(n) diese Mackermasche verachtet, irgendwie anziehend. Wie Vulgäres im Rap.

Kämpfe:

Die zwei deutlich längsten Geschichten handeln von formalisierten Kämpfen – Boxkampf und Stierkampf. In beiden Fällen nehmen Vorab-Dialoge zwei Drittel des Texts ein, der Kämpfer erscheint jeweils als wenig aussichtsreich. Das erzeugt Spannung. Beide Geschichten enden etwas unübersichtlich und weniger eindeutig als vielleicht erwartet.

Am längsten ist die Geschichte um einen alternden Torero, der nach Krankenhausaufenthalt noch einmal gegen einen Stier kämpfen will. Doch Kellner, Kollegen und Veranstalter behandeln ihn fast verächtlich, und der Kampf selbst läuft auch nicht rund.

Mit kargen Worten und ohne jedes Psychologisieren zeigt Hemingway die Demütigung des Toreros, der um seine Ehre und den Verbleib im Beruf ringt. Der Autor schildert aber auch ermüdend ausführlich den Stierkampf selbst und produziert dabei einiges Spanisch und Stierkampffachchinesisch. Die Seitenblicke auf den Stierkampfreporter und auf die Gespräche unter den Stierkämpfern klingen interessant und ungewöhnlich.

Im Vergleich zu anderen Kurzgeschichtensammlungen, die nicht retrospektiv entstanden (also nicht “Die besten Kurzgeschichten von…” oder “Alle Kurzgeschichten von…”), wirkt Hemingways Geschichtenband Männer ohne Frauen relativ heterogen, mit sehr unterschiedlichen Themen, Schauplätzen, Längen; die Tonlage bleibt aber jeweils ähnlich.

Heterogen:

Freilich erschienen die stärksten Geschichten vorab in der Presse – damals lukrativer als ein Buchauftritt. Nur einige wunderliche Privaterinnerungen, Urlaubsanekdoten und sehr kurze Stücke kamen hier erstmals öffentlich heraus. Sie sind immer noch gut geschrieben, aber der Inhalt verursacht Kopfschütteln. Bei der italienischen Begegnung mit kleinbürgerlichen Faschisten schrieb sich Hemingway vielleicht nur die Verachtung von der Seele. Insgesamt könnte ich auf die skurrilen Geschichten verzichten; nur mit den starken Stories wäre der Band eindrucksvoller.

(Hemingways Zeitgenosse und Freundfeind F. Scott Fitzgerald schrieb ebenfalls viel Kurzprosa (die er stets verachtete); von Fitzgerald gibt es einen dicken Band mit seinen besseren 43 Kurzgeschichten, ausgewählt und kurz kommentiert von Professor Bruccoli. Natürlich ist so eine Auswahl anfechtbar; dennoch hätte ich gern etwas Entsprechendes von Hemingway – lieber als Sammelbände mit praktisch allen Geschichten oder als Einzelbände wie Men without Women, die jeweils Herausragendes und weniger Begeisterndes unvorhersehbar mischen.)

Die Themen in Männer ohne Frauen:

  • Alternder Torero will nach Verletzung ein letztes Mal kämpfen
  • Soldaten in italienischem Krankenhaus nach erstem Weltkrieg
  • Mann will Frau sanft zu Abtreibung bewegen
  • Killer warten auf ihr Opfer, fesseln Umstehende und reden großspurig (verfilmt von von Robert Siodmak mit Burt Lancaster, Ava Gardner, Edmond o Brian, s. Video unten)
  • Faschistische Straßenlümmel, Anhalter, Prostituierte in Italien 1927
  • Boxer bereitet sich auf aussichtslosen Kampf vor
  • US-Major in Italien befragt Untergebenen über Liebe
  • Indianische Freundin eines US-Farmer-Sohns geht fremd
  • US-Amerikanerin zieht nur Landsleute als Schwiegersöhne in Betracht, ist aber selber kein Juwel
  • Schweizer Dorf-Anekdote um Leichnam
  • Radrennfahrer redet bizarr unter Drogeneinfluss
  • Römische Soldaten diskutieren Jesus’ Kreuzigung (Theaterstück)
  • Parodie auf Zeitschrift, die Debatten transportieren will
  • Soldaten können nicht schlafen, grübeln, reden über Ehe

Freie Assoziationen:

  • Andere Hemingwaybücher und Kurzgeschichten, die vom ersten Weltkrieg in Italien (speziell vom Krankenhaus und von Pflegerinnen dort) oder vom Stierkampf (Tod am Nachmittag) handeln und deutlich nach diesen Kurzgeschichten klingen
  • Haruki Murakamis Von Männern, die keine Frauen Frauen haben (2014): gleiche Textsorte, ähnlicher Titel (man merkt schon am deutschen Titel, dass Hem weniger Worte macht als Mur; die englische Murakami-Ausgabe heißt bemerkenswert genauso wie die engl. Hemingway-Ausgabe); denkbar unterschiedliche Themen, Figuren und Erzählweisen
  • Die Siesta-Südmackerstories von Hans Herbst
  • Einige Kurzgeschichten von Richard Yates, der sich nicht nur nur inhaltlich und stilistisch, sondern auch explizit auf Hemingway bezieht

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  • Wikipedia zum Buch (jew. mit Links zu einz. Gesch.): DeutschEnglisch (ausführlicher)

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