Kenia-Kolonialbuch-Kritik: Weißes Verhängnis, von James Fox (1982, engl. White Mischief) – 6 Sterne – mit Video

Fazit:

Journalist James Fox schreibt ungewöhnlich flüssig und gut lesbar, dabei sehr klar und nachvollziehbar (jedenfalls im engl. Original, ich hatte die 1998er Vintage-TB-Ausgabe; die Eindeutschung von rororo kenne ich nicht). Allerdings ist die Erzählung seltsam zersplittert und die Geschichte beginnt nach 120 Seiten noch einmal von vorn, dann unchronologisch.

Ein Personenlexikon, Landkarte und einige SW-Fotos machen die Handlung leichter nachvollziehbar, gleichwohl konnte ich nicht alle Figuren immer auseinanderhalten, die Anordnung der Ereignisse verwirrt. Fox will scheint’s einen Tatsachenkrimi schreiben, hat aber sein Material nicht im Griff.

Mord in der Kolonial-Schickeria:

Fox konzentriert sich auf die 1920er  und 1930er Jahre im kenianischen Happy Valley mit seinen köstlichen Ausschweifungungen. Im Mittelpunkt steht nicht das gesellschaftliche Leben allgemein, sondern der spektakuläre Mord an Josslyn Hay (22. Earl of Erroll) 1941 samt Prozess gegen Delves Broughton in Nairobi – dem Edelmann droht die Todesstrafe. Die Vorgeschichte und die Gerichtsverhandlung erzählt James Fox sehr breit, fast wie ein Drehbuch; die Dialoge und Abläufe kennt er aus den hochdetaillierten Gerichtsakten und aus vielen Interviews mit Überlebenden. Die Gespräche führte Fox seit 1969 für eine Reportage gemeinsam mit dem Dichter Cyril Conolly und später für das Buch. Obwohl ich Aus und Gang des Prozesses schon kannte, fand ich die Gerichtskapitel spannend.

Ein guter Abriss zu Beginn des Buchs behandelt Kenias erste koloniale Jahrzehnte samt Bau der Eisenbahn von Mombasa via Nairobi nach Uganda um die Jahrhundertwende.

Re-Start:

Allerdings schildert Fox Kenia, den Mordfall und die Gerichtsverhandlung nur bis Seite 121. Danach in Teil 2 erzählt Fox von seinen Recherchen, der Zusammenarbeit mit dem Dichter Cyril Conolly, und er beleuchtet einzelne Akteure und Vorgänge erneut aus anderen Blickwinkeln. Die Chronologie folgt nicht mehr den Ereignissen in Kenia, sondern Fox’ Recherche-Begegnungen. Die wichtigste frische Erkenntnis, die alles in ein neues Licht stellt und den Prozessausgang relativiert, erscheint zufällig erst auf den letzten Seiten.

Der Autor kehrt also in die Vorgeschichte des Kriminalfalls zurück, kleinste Dinge ausdiskutierend und einzelne Nebenfiguren erneut aushorchend. Er schildert einen umständlichen mutmaßlichen Versicherungsbetrug in Europa, der kaum in die Handlung gehört, und beschreibt auch langwierige Suchen nach Zeugen, die dann nichts oder das Falsche sagen (z.B. “My informant had been wrong”, S. 265).

Die wichtigsten Erkenntnisse aus Teil 2 hätte ich lieber gleich in Teil 1 gelesen, auf den Rest verzichtet. M.E. hätte Fox sein Material mit Hilfe eines kaltherzigen Lektors besser ordnen müssen. (Fox ghostete auch die Autobiografien von David Bailey und Keith Richards.)

Kopfschuss:

Fox verzichtet auf feixendes Schenkelklopfen oder dräuendes Dramatisieren trotz reihenweise skurriler, exzentrischer und versnobter Akteure in Kenia und England sowie aufregender neuer Erkenntnisse. Tatsächlich liefert Fox wichtige neue Erkenntnisse stets sehr beiläufig.

Das Leichenfoto mit einer Kopfschusswunde nehme ich ihm jedoch übel. Dieses Mordfoto erschien bereits 1969 als “full page blow-up” in der Fox-Conolly-Reportage zum Mordfall; laut Fox wurde das Bild schon damals als “extremely bad taste” kritisiert (jew. S. 136), Conolly habe das Bild nicht bringen wollen. Für Fox jedoch hatte die Aufnahme “enormous power… and gave a stark reminder of the horror of the moment wenn Erroll was killed” (S. 138); na Danke.

Freie Assoziationen:

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