Rezension Jazz-Biografie: Nica’s Dream, von David Kastin – 7 Sterne

Aufgewachsen als superreiche Rothschild-Tochter in England, dann Pilotin, verheiratet in Frankreich, Kriegsheldin in Afrika, Diplomatengattin in Mexiko, Mutter von fünf Kindern, Eheflüchtling und schließlich jahrzehntelang Gönnerin der New Yorker Jazzszene, eine begüterte weiße Edelfrau unter schwarzen, oft armen und drogensüchtigen Jazzentrikern – Pannonica “Nica” de Koenigswarter, née Rothschild, hatte ein spannendes, ungewöhnliches Leben.

David Kastin verspricht eine Biographie; doch drei Viertel seines Buchs handeln allein von der New Yorker Zeit ab de Koenigswarters 40. Lebensjahr.

Der einseitige Schwerpunkt dieses Buchs:

Und hier schildert Kastin vor allem die Jazzaktivitäten der Rothschild-Erbin. Er zitiert sie selbst damit, dass ihr New Yorker Leben bei weitem nicht nur aus Jazz bestand – aber nichts davon verrät Kastin. So sagt er, dass sie in späteren Jahren kaum reiste, einmal aber Familienangelegenheiten in London und Israel regeln musste. Was die Baronin auf die Reise führte und wie es ihr dabei ging, verrät Kastin mit keinem Wort: er erwähnt die Unternehmung nur, weil Nicas heikler Pflegegast Thelonious Monk allein in New York zurückblieb.

Was de Koenigswarter außerhalb der USA erledigte, interessiert den Autor generell kaum. Kastin hätte sein Buch, das aus einem Artikel heraus entstand, besser ganz auf Nica und den Jazz in New York beschränkt und nicht den Anspruch einer umfassenden Biographie erhoben.

So ist von der jüngeren Nica in England, Frankreich und im Krieg in Afrika nicht viel zu lesen; ebensowenig von der privaten Nica außerhalb der Jazzkreise. Biograf Kastin kommt ihr kaum nah, vielleicht auch aus Rücksicht oder auf Drängen der mächtigen Familie; die fünf Kinder reden zudem kaum über sie, und Nicas offenbar existierende Autobiografie bleibt unter Verschluss.

Das sind die Stärken des Autors:

Dafür liefert der in Brooklyn lebende amerikanische Musikkritiker Kastin lange Ausflüge in die amerikanische Kulturgeschichte – Jazzleben, Literatur, Malerei, Film und Beat Generation schildert er weit ausführlicher als nötig, vielleicht um Seiten zu füllen, Nica verschwindet dort weitgehend. Ich fand es dennoch interessant, zumal Kastin meist flüssig und entspannt schreibt, wenn auch einige Künstlernamen falsch erscheinen.

Es gibt nur acht Fotoseiten, mit meist zwei Schwarzweiß-Bildern pro Seite; einige Fotoseiten verschenkt Kastin völlig, indem er unwichtige Gebäude zeigt. Die Kinder der Baronin, die teils Jazzkneipen mit ihr besuchten, sieht man gar nicht, ebenso fehlen die meisten Bebop-Hauptfiguren oder LP-Hüllen mit einem Gemälde aus Nicas Hand.

Die Alternativ-Angebote von Hannah Rothschild und ihre Stärken und Schwächen:

Kastin erwähnt auch Nicas Großnichte und BBC-Regisseurin Hannah Rothschild und deren Filmdokumentation über Pannonica de Koenigswarter. Hannah Rothschild legte später eine Nica-Biographie in Buchform nach, die weit ausführlicher als Kastin Nicas Zeit in Europa darstellt – besonders das exzentrische Leben der Rothschilds – und mehr und interessantere Fotos bringt.

Jedoch schwächelt Rotschild beim Jazzleben, es ist ganz offenbar nicht ihre Welt; hier wirkt Kastin ausführlicher und reifer, und er zeigt vielleicht auch die private Nica in der New Yorker Phase genauer als Hannah Rothschild. Kastin listet auch die Pannonica de Koenigswarter gewidmeten Jazzstücke weit ausführlicher. Viele interessante Hintergründe und Video-Interviews liefert  auch Hannah Rothschilds englische Webseite zur Jazzbaronin.

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