Rezension Bollywood-Taubstummen-Komödie: Barfi! (2012, mit Ranbir Kapoor, Priyanka Chopra) – mit Video – 7 Sterne

In den Hauptrollen ein Taubstummer und eine Autistin: Barfi! (2012) lebt darum nicht von Dialogen, sondern von Stimmungen, Augen-Blicken, Kaspereien und stets sahnig-edler  Kamera. Die Kriminal- und die Liebesgeschichte gehen fast unter in all den zauberhaften, betörenden Aufnahmen, ebenso die schauspielerischen Leistungen. Die wenigen Dialoge der Nebendarsteller wirken beinahe störend oder regelwidrig.

Die Schönheitskönigin als ernste Autistin:

Verblüffend: Schönheitskönigin Priyanka Chopra spielt keine Schöne, sondern eine Autistin mit kurzen Locken, die kaum mal lächelt. Sie ist schwer zu erkennen.

Ranbir Kapoor als taubstummer Sunnyboy lächelt um so mehr und produziert allerlei nonverbalen Schabernack. Dabei erinnert er nicht nur an Charlie Chaplin und an seinen Großvater Raj Kapoor (der oft sehr Chaplin-inspiriert spielte), sondern auch an den knuffigen Shreyas Talpade aus den Hindi-Filmen Iqbal (dort ebenfalls taubstumm) und Dor.

Ein Riesenerfolg:

Bei den Passagen um die autistische Jhilmil dachte ich auch an Taare Zameen Par, das um einen legasthenischen, verträumten Grundschüler kreist und ebenfalls längere handlungsfreie Passagen und Gesichter in Nahaufnahmen zeigt (u.a. bei 0:31:25, Jhilmil kommt in ihr eigentliches Zuhause, klingt Barfis Hintergrundmusik eindeutig nach Taare Zameen Par).

Die meisten professionellen Kritiker jubelten, die Zuschauer machten Barfi! zum Kassenschlager und verteilten Höchstnoten auf IMDB. Das Stimmungsgemälde von Regisseur und Autor Anurag Basu beeindruckt in der Tat stark, und wer sich auf ein Feelgood-Zaubermärchen aus Hindustan einlassen mag, der vergibt vielleicht eine Höchstnote.

Deutliche Schwächen drücken die Qualität indes:

  • wenig Handlung
  • zu viele Zeitsprünge (1972, 1978, heute, laufend hin und her)
  • zu viel Regen, selbst wenn er echt sein sollte
  • Barfi! ertrinkt in seifiger, europäisierender Hintergrundmusik; mal nur ein Akkordeon, öfter ein penetranter Streicherhimmel, gern im Dreivierteltakt geschunkelt, selten Ruhe gewährend
  • einige Spezialeffekte wirken billig, selbst wenn man sie als Traumsequenzen betrachtet, die nicht realistisch erscheinen müssen (Glühwürmchen in Seifenblase, Schmetterling im Gras)
  • die permanente Kamera-Kraftmeierei (Raja Sen auf Rediff: “juicy joys”) drängt das Schauspielerische in den Hintergrund
  • der Film dauert Bolly-übliche 2:30 Stunden und damit zu lange; die Manierismen der Hauptfiguren nerven zum Schluss, die opulenten Bilder und Klänge übersättigen und doch vermisst man Substanz: Handlung und Entwicklung
  • die zu Beginn und am Ende auf 30 Jahre älter geschminkten Darsteller wirken so befremdlich wie ihre auf alt getrimmten Kollegen in anderen Hindi-Filmen; die Haarfarbe von Ranbir Kapoor schwankt zudem drastisch in den letzten Szenen
  • die Songs im Film ähneln sich zu sehr
  • Regisseur und Autor Anurag Basu übernahm offenbar reihenweise Szenen aus anderen Filmen, sogar die Musik soll abgekupfert sein (Hinweise auf Plagiate in der englischen Wikipedia; Szenenvergleiche in der Hindustan Times; Antwort des Regisseurs auf Hindustan Times und weitere Hintergründe). Auch im Vor-Vorgängerfilm Metro – Die Liebe kommt nie zu spät (orig. Life in a Metro) übernahm Basu Bollywood-Themen und zeigte zu oft Musiker im Bild

Zu schöne Bilder:

Namrata Joshi in Outlook fasst meine Vorbehalte gegen die Barfi!-Ästhetik gut in Worte:

“The film appears much too crafted and self-consciously gorgeous, and feels eminently facile and plastic…”

Oder Anupama Chopra in der Hindustan Times:

“The film insists too hard that we find the magical in the mundane. I wish Barfi! the film was as magical as Barfi the character.”

Und die Los Angeles Times:

“Despite a hard-working cast, a lush score, exotic location shooting and scattered warmth, “Barfi!” is ultimately more endurance test than entertainment.”


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